Ein Haus voller Steine, von Ines Kohl, 2018 - Toni Scheubeck, Bildhauer und Zeichner

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Ein Haus voller Steine, von Ines Kohl, 2018

Texte

Dem Bildhauer Toni Scheubeck zum 70sten Geburtstag
Ein Haus voller Steine     
 
„Steine. vergangenheitsschwer.           
gegenwartstrunken. zukunftsleicht."         
James Joyce    

        
Den Satz von James Joyce hat Toni Scheubeck in den Sockel des Innenhofs gemeißelt. Sein Haus gleicht einem ein Skulpturenpark. Bearbeitete Steine und Hölzer breiten sich auf dem Boden aus, Zeichnungen und Objekte an den Wänden. Wohnraum und Küche sind noch barrierefrei. Als Haus und Atelier belegt waren, stockte der Bildhauer kurzerhand seine Werkstatt auf. Kühn setzte er einen Würfel diagonal auf den vorhandenen Bau. Vom Innenhof aus gelangt man über eine Wendeltreppe in diese Himmelswerkstatt. Ebenerdig gibt es einen Seilzug, um die schweren Lasten nach oben zu befördern. Von der Straße aus liest der Besucher von unten die lapidare Aufschrift „WERKSTATT". Das gibt keine Vorstellung von dem, was hier zu entdecken ist, wie auch Toni Scheubeck selbst nicht gern im Vordergrund steht. Versammelt sind Skulpturen, Zeichnungen und Objekte aus vier Jahrzehnten und wenn man weiß, dass der Künstler von diesen vierzig Jahren fünfunddreißig Jahre als engagierter Kunsterzieher am Joseph-von-Fraunhofer-Gymnasium in Cham unterrichtet hat, dann fragt man sich, woher er die Zeit nahm, diese Fülle von Arbeiten zu schaffen. Er hat die Städtische Galerie im Cordonhaus Cham mitbegründet und war dort jahrelang als Kurator tätig, engagierte sich schon früh für die grenzübergreifende Zusammenarbeit von Künstlern in Bayern und Böhmen, organisierte Bildhauersymposien in beiden Ländern und stellte nebenbei Ausstellungen seiner eigenen Werke zusammen. Zum 60sten Geburtstag erarbeitete er eine umfangreiche Werkmonografie, 2017 wurde er mit dem Kulturpreis Bayern geehrt.

Ein Röntgenblick für den Stein
Seit ich Toni Scheubeck kenne, und das sind jetzt gute dreißig Jahre – von denen wir rund fünfzehn Jahre als Kuratoren an der Städtischen Galerie im Cordonhaus Cham eng zusammenarbeiteten -, sind seine künstlerischen Prinzipien unverändert, sein Werk aber weist eine unendliche und faszinierende Fülle an Möglichkeiten auf, den Stein und seit vielen Jahren auch Holz zu bearbeiten. Bestimmend für das Aussehen der Skulptur ist der Stein selbst, er ist Ideengeber für den Künstler. Der findet seine Steine im Steinbruch, manchmal sind es Reste vorhergegangener Arbeiten oder aus der Steinmetzwerkstatt. Mit Pflastersteinen arbeitet er genauso wie mit Marmor. Eigentlich, so der Künstler, sei alles letztlich recycling. Das ist leicht untertrieben, ebenso wie die Äußerung, dass er eigentlich Autodidakt sei, was die Bildhauerei betrifft. In der Schreinerei des Vaters war er früh schon nah dran am Handwerk, doch die Initialzündung brachte die Bekanntschaft mit dem Werk des Österreichers Karl Prantl, der die Prinzipien vorgab – die Form des Steins als Charakteristikum, richtungweisend für die spätere Skulptur. Um zu erkennen, was dem Stein innewohnt, ist nicht nur lange Erfahrung nötig, sondern auch Intuition und Assoziationsfähigkeit. Assoziationsfähigkeit, was die äußere Form angeht und ein „Röntgenblick", mit dem der Bildhauer äußerlich nur zu vermutende Gesteinsadern, Färbungen und Schichten entdeckt. So entstehen Formen im Einvernehmen mit der Natur, die wie zusammengesetzt erscheinen, ab er aus einem Guss sind, wie bei dem „Weg nach Patersdorf oder der "Parallelverschiebung". Bei manchem Brocken kommt die zündende Idee sofort, andere reifen im Werkstattlager lange Zeit vor sich hin. Nicht jeder Stein gestattet dem Künstler schnellen Zugang zu seinem Innenleben.

Der Mensch als Maß und die Geheimnisse der Steine
Toni Scheubeck nimmt sich fast ausschließlich Steine vor, die er alleine von eigener Kraft bewältigen kann. Anders als sein tschechischer Künstlerfreund Vaclav Fiala, Spezialist für monumentale Arbeiten, bleibt Scheubeck in den Dimensionen des menschlichen Körpers. Die Größe liegt hier in den Feinheiten, in der vertrackten Geometrie mancher Stücke, in der Ponderation labiler Körper, in den Gegensätzen zusammengehöriger Teile und im Überraschungseffekt, den der Betrachter beim dritten Hinsehen wahrnimmt, wenn er das Rätsel mancher Skulptur gelöst hat. Lange Erfahrung lehrt Sehen. Manchmal ist die Idee ganz simpel. Wenn der Stein ihm entgegenkommt, dann legt der Bildhauer das Innenleben frei, um die Geheimnisse des Steins zu finden, nutzt Einschlüsse, um ein facettenreiches Spiel mit den Strukturen zu treiben. Anders liegen die Dinge, wenn der Künstler sich von mathematischen und geometrischen Gesetzen inspirieren lässt oder Oberflächen ornamental beschleift, sodass der Blick zwischen Figur und Grund irritiert wechselt. Manche Skulptur täuscht das Auge, gibt vor, weich zu sein, biegsam und geschmeidig. Dann gibt es die Splittersteine, bei denen der „Abfall", der bei der Bearbeitung entsteht, in unterschiedlichen Formationen der dadurch entstandenen Form gegenübergestellt wird, ein Lehrgang in Masse und Volumen. Es gibt „Spaltstrukturen", die das offengelegte Innenleben interpretieren und „Findlinge", deren außergewöhnliche Form Unmögliches möglich zu machen scheint, wie die „Feder" aus Granit. Unter den Findlingen sind ausnahmsweise größere Steine, wie der liegende Granit für die Rossschwemme am Regenufer in Cham. Zu den größeren Arbeiten zählen auch die Stele zur Dorferneuerung und der Labyrinth-Brunnen in Scheubecks Heimatort Arnschwang. Faszinierend sind die „Mehrteiler", wie „Sieben Schalen für den Zorn Gottes" und „Master of War", oder die Steinaufbauten, die durch herausgeschliffene „Zeichnungen" optisch trickreich miteinander verbunden werden – je nach Standpunkt des Betrachters ergibt sich aus den Teilen ein Ganzes. In den „Kunsträumen grenzenlos" in Bayerisch Eisenstein zeigte Toni Scheubeck im vorigen Sommer  Zeichnungen und Steinarbeiten, die sich mit den Spuren von Pendelbewegungen beschäftigen, in Kombination mit vorangegangenen Zeichnungen. Denn während er für die Skulpturen aus vorgefundenen Steinen keine Vorzeichnungen macht, entstehen aus der Beschäftigung mit Spuren des Pendels oder mit Schleifspuren Zeichnungen aus der Faszination für die Gesetzmäßigkeiten wiederkehrender Bewegungen. Dazu gehören Entwürfe, die neue Ideen festhalten und vor allem in den Wintermonaten entstehen, „Abrollungen" mit Klebestreifen, filigrane Arbeiten mit Spänen, die beim Bleistiftspitzen abfallen -  wieder eine Recycling-Idee -, oder feinste Zeichnungen von Blattwerk, die zeigen, wie dicht der Künstler an der Natur ist, obwohl seine Arbeiten abstrakt scheinen.

Holz – seiner Gestalt gemäß interpretiert

Zur Holzskulptur kam Toni Scheubeck relativ spät – vielleicht, weil ihm, aufgewachsen mit der Schreinerei des Vaters, Holz als ein zu selbstverständliches Material erschienen war. Was beim starren Stein das versteckte Innenleben ist, ist beim organisch gewachsenen Holz die Eigenschaft zu arbeiten, zu wachsen, sich zu verändern. Wie beim Stein folgt Scheubeck auch hier der Gestalt und dem Wuchs des Holzes und nutzt dessen Kräfte. Zudem nähert er sich wieder mehr an die Natur an. Sein Blick aufs Große wie aufs Kleine lässt ihn sich mit feinsten Nuancen auseinandersetzen. Stufenweise legt er geduldig Jahresringe frei, nutzt Torsionen, spielt mit raffinierten geometrischen Konstruktionen, stellt sich entsprechende Formen in Holz und Stein einander gegenüber, wie yin und yang. Er sammelt die Ranken des Weinstocks in seinem Innenhof biegt und bildet sie mit Eisendraht im Massstab 1:1 nach – eine meditative Winterarbeit. Oder er stellt ein Tetraeder, Kugel und Würfel aus Kletten her, die harte Form aus weichem, organischem Material. Man ist fasziniert vom überbordenden Ideenreichtum, der Vielseitigkeit und dem Blick des Künstlers für die unscheinbarsten Erscheinungen in der Natur, eine Schule der Wahrnehmung. Mit der Erfahrung wächst der Ideenreichtum. Stein wird mit Holz, Draht und anderen weichen Materialien in Verbindung gebracht. Manche bildhauerische Arbeit wird zeichnend nachvollzogen. „Rotationszeichnungen", „Umfahrungen" und „Interferenzen" legen überraschende Gesetzmäßigkeiten der manisch zeichnenden Hand offen. Dazu passen die Ruhe und Gelassenheit von Toni Scheubeck, eine anthroposophische Grundhaltung, die Bewunderung japanischen Handwerks und die Vorliebe für ostasiatische Weisheit. Die Natur ist der Leitfaden dieses ungewöhnlich reichen und klugen Werks, das in Vielseitigkeit und Konsequenz seinesgleichen sucht. Außerdem jongliert der Künstler gern zur Entspannung. Jonglieren steigert erwiesenermaßen die Intelligenz und hält das Hirn beweglich. Wir wünschen ihm noch eine lange Steinzeit!

Ines Kohl
erschienen in der Januar/Februar-Ausgabe 2019 der Zeitschrift "Schöner Bayerischer Wald"

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