Wolfgang Herzer 2015 - Toni Scheubeck, Bildhauer und Zeichner

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Wolfgang Herzer 2015

Texte

DAS SCHWERE IST DIE WURZEL DES LEICHTEN
oder SATORI IN AMBERG

Ausstellung Toni Scheubeck
Steine, Objekte, Zeichnungen
Luftmuseum Amberg
31.1. – 19.4. 2015


Das Schwere ist die Wurzel des Leichten.
Ein erhellender und gleichzeitig geheimnisvoller Satz, finde ich.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht.
Für mich ist das ein Satz, der blendet und bei aller Klarheit, wenn man ihn begreifen will, vollkommen unklar ist, da macht er einmal mehr das wahr, was Ottfried Fischer gesagt hat:
Schwer ist leicht was.
Bei der google-Suche in der Literatur nach Aufklärungs-Hilfe bezüglich der gewichtigen Aussage, entdecke ich, dass es zwei Begleitsätze gibt.

Einschub: Die Ausstellung ist in den vier Erdgeschoss-Räumen des Luftmuseums aufgebaut.
Verbindendes Stichwort: Schwer und Leicht:
Raum 1.
Betrachten Sie unter diesem Stichwort das Feld aus Draht-Tesafilm-Plastiken an der Wand, die Folge ihrer Einzel-Wickelungen entspricht einer arithmetischen Reihe, immer eine mehr, bilden Sie eine Verbindung mit der „Linearität" an den ausgehöhlten Granit-Skulpturen am Boden auf der Tür-Seite.

Kunsthistorisch betrachtet steht der Betrachter mit einem Bein im Bereich konkreter Kunst, konkrete Kunst gibt es seit den 1030er Jahren und sie tritt nicht als Spiegel auf, der die visuellen Realität abbildet und aus dem Kristall der Wahrsagerin ist, sie funktioniert anders, sie verwendet die reinen Erscheinungsmerkmale der sichtbaren und haptischen Wirklichkeit wie Farbe, Form, Materialität, Textur, Volumen, Richtung, Größe analog zur Musik als kompositorische Bausteine, die sie in wirkungsvolle Kontrast- und Analogie-Verhältnisse bringt.
Scheubeck macht mehr. Seine Arbeiten enthalten auch so etwas wie magische Mathematik.
Was sehen Sie? Mit dem inneren Auge.
Achten Sie auf ihre Körper-Empfindung!
Leicht, schwer.
Was sehen Sie, nebenan, in Raum 2, wenn Sie in dem Zusammenhang die Serie der Draht-Wein-Reben-Ranken-Spiralen-Duos betrachten?

Zurück zu den Begleitsätzen: Die Stille ist der Unruhe Herz. Die Ruhe ist der Meister der Bewegung. Gegensätze ziehen sich an, sagt man als Trost, wenn es in der Beziehung schwer rumpelt und man es miteinander nicht leicht hat, wenn jeder nach dem Bild des anderen geschaffen sein soll.
Gegensätze, das wären hier Schwer und Leicht.
Das „Wurzeln" aber, was heißt das, wie geht das?: Ist das die Auflösung der Gegensätze? Durch Anziehung, durch Abstoßung?
Endet das dann in der Verschmelzung, in der Zertrümmerung ... in der Akzeptanz des Verschiedenen, in der Freiheit, die ein Gefangensein aus sich heraustreibt? Wie kommen wir dahin? Und was hat das mit den Exponaten zu tun?

Die Titel-Aussage, die sich bei Betrachtung der Ausstellung im Gegenstand harten, schwarz-schweren Basalts und gesprenkelten, lichteren Granits und Diorits und schließlich in der lichten Transparenz der Tesagramme und den luftigen Gitter-Drahtskulpturen exemplifiziert und uns „Aha!" sagen lässt, ohne dass wir sagen können: warum, stammt von Laotse, einem der großen Welt-Weisheits-Garanten.

Meint er Chaos und Ordnung, Krieg und Frieden?, wie der Westmensch sagt. Begriffe, die dem Europäer nach 70 Jahren Frieden heute seltsam abstrakt anmuten.
Wie die Zeit vergeht.
Nie wieder Krieg!
Waren die Weltkriege nicht schwer genug, um darin nicht für alle Welt ewigen Frieden wurzeln zu lassen?

Wilhelm Koch, der Luftmuseums-Direktor und Toni Scheubeck, der hier ausstellende Bildhauer, verwenden Laotses Sentenz als Ausstellungstitel, und ich soll jetzt die Verbindung zwischen Ausstellung und Titel herstellen.
Die Ausstellung zeigt Arbeiten aus den 1980er Jahren bis heute.

Laotse ist nicht mehr zu fragen. Er ist längst 70 jährig, wie Bertold Brecht in seinem Gedicht über die Entstehung des Buches Taoteking schreibt, in Begleitung eines Knaben im Gebirge verschwunden.
Dort stößt er auf einen Zöllner, der

„ in einer heitren Regung" .. den Knaben .. "
Fragte ...: "Hat er was rausgekriegt?"
Sprach der Knabe: "Dass das weiche Wasser in Bewegung
Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt.
Du verstehst, das Harte unterliegt."

Gerne! Sagte ich und dachte mir nichts. Intuitiv scheint Laotses Aussage sofort klar, hier scheint große Lebenserfahrung auf den Punkt zu kommen, dem nichts hinzuzufügen ist, doch dieser Punkt, dieses Signifikat, das der Satz bezeichnet, liegt leider jenseits unseres rational-sprachlichen Horizonts und unserer gewohnten Sprachspiele.
Allez!

Dorthin, ins Paradoxe, entführt uns asiatische, aber auch europäisch mystische Weisheit gerne.
Wir sollten jetzt also über Dinge sprechen, über die man nicht sprechen kann. Schweigen also, aber: wie lange? Schauen!

Merken wir uns eines vorweg. Das wissen wir auch so. Im Schweigen und in der Ruhe des Schauens kommt die Zeit zu Wort, sie spricht in unserem Körper-In-Der-Welt-Sein zu uns, das heißt in unserem Verwandt-Sein mit dem Stein, in unserem eigenen Natur-Sein.
Das Schweigen der Steine, das Schweigen unseres Körpers ist beredt, die Bewegungslosigkeit der Steine ist nur scheinbar, der Physiker spricht hier von potentieller - oder Lage-Energie, Steine sind Sprachrohre der Zeit, wenn wir sie bewegen, bewegen sie uns noch viel weiter.

Die Steine erinnern sich, sie sagen etwas voraus.
Überall, wo man sie findet, sagen sie einem etwas.
Man sammelt.
„Weil es unermesslich viel Steine gibt," schreibt Adalbert Stifter," so kann ich gar nicht voraussagen, wie groß diese Sammlung werden wird."

Scheubeck und Koch kenne ich seit mehr als 20 Jahren, als Ausstellungsmacher des Kunstverein Weiden habe ich mit beiden immer wieder zu tun, für mich als Sucher einer originär regionalen Kunst in der Oberpfalz, die werk-innere Bezüge zu Land und Leuten bewahrt, sind sie Schätze.

Toni Scheubeck wurde 1948 in Arnschwang in der Oberpfalz geboren, seine Eltern hatten einen Kolonialwaren-Laden, ein einstöckiges Anwesen mit kleinem, japanisch anmutenden Innengarten, in der Furtherstraße, Ecke Am- Anger, er und seine Frau Ilse leben heute noch dort.

Die Mutter habe ich noch kennengelernt, die freundliche schmale Gestalt im schmalen dämmerigen Flur, der Licht durch das Fenster in der Tür zum Gärtlein erhielt.
Die Tochter ist aus dem Haus ...

... und da sind die vielen Steine, kunstvoll geordnet breiten sie sich in all den leer gewordenen Räumen aus, dazu die Holzarbeiten, die Objekte, die Zeichnungen, die Drähte, darunter die alten Holzdielen und darüber seit ein paar Jahren ein Aufbau, ein schräg gegen den Unterbau versetzter und wie ein Flügel gestreckt überkragender Quader, der mich auch an das berühmte Wasserfall-Haus von Frank Lloyd Wright erinnert.

Toni Scheubeck studierte an der Akademie der Bildenden Künste bei Zacharias, begegnet bin ich ihm aber im Kreise der Raimer-Jochims-Schüler, deren einer auch ich war, Jochims verließ 1971 im Streit mit der Akademie-Leitung München und ging ins Städel nach Frankfurt, ein Verlust für viele am „Geistigen in der Kunst" Interessierte.

Seine Identitäts-Konzeption, die ihn zum kunstphilosophischen Einzelgänger machte,  war eine Herausforderung, die sich gegen jede Art von Stil wendete. Kunst wird dabei per se als Medium kritischer Selbst-Wahrnehmung begriffen, die Gestaltung beschränkt sich, formal der konkreten Kunst verwandt, auf die visuellen Grund-Bausteine und schließt, was äußerst ungewöhnlich ist, die Zeit, die der Betrachter zur visuellen und mentalen Adaption benötigt, als Gestaltungs-Faktor ein.
Erst ab einer bestimmten Verweil-Dauer des Betrachters vor dem Kunst-Kunstwerk kann das Kunstwerk gelingen, eine Farb-Form-Struktur, deren Prinzip zum Prinzip des Sehvorgangs analog ist. Jochims Arbeiten verweigern sich dem schnellen Zugriff, der Vergötzung des Schnellen und dem Konsum des Vielen, und geben viel her, wenn man sich Zeit nimmt. Der Betrachter kommt zu sich selber.

Scheubeck blieb auch außerhalb der Akademie in diesem Kreis und fand dort zur Bildhauerei, eine besondere Einfluss-Größe dürfte der Österreicher Karl Prantl gewesen sein, der in den 1950er Jahren die europäischen Bildhauer-Symposien im Römersteinbruch von  St. Margarethen/ Niederösterreich begründete, Open-Air-Bildhauerei war damals vollkommen neu, ein geistiges Erweckungs-Erlebnis mit großer Wirkungs-Geschichte, über das Prantl, der Initiator, selber schrieb:  

„An uns Bildhauer selber gedacht, ist es so, dass wir durch die Erfahrungen von St. Margarethen, durch dieses Hinausgehen in den Freiraum – in den Steinbruch, auf die Wiesen – wieder frei wurden. Um dieses Freiwerden oder Freidenken in einem ganz weiten Sinn ging es. Für uns Bildhauer ist der Stein das Mittel, um zu diesem Freidenken zu kommen – zum Freiwerden von vielen Zwängen, Engen und Tabus."


Scheubeck war von 1975 bis 2010 Kunsterzieher am Josef-von-Fraundorfer-Gymnasium in Cham, etliche seiner Schülerinnen und Schüler haben beachtliche künstlerische Laufbahnen eingeschlagen, er war 1982 Mitbegründer der städtischen Galerie im Cordonhaus und dort über 20 Jahre Kurator, der es verstand mit seinem Ausstellungs-Programm Cham auf jeden Fall in der deutschsprachigen Kunstwelt zu positionieren, das europäische Bildhauersymposion anlässlich der regionalen Gartenschau 2001 wurde von ihm mitinitiiert, auf dem Dorfplatz in Arnschwang steht ein Brunnen von ihm, der Labyrinth-Brunnen, eine edle Arbeit aus Basalt, eines Tages entdeckte man darunter eine tickende Bombe, aber es war bloß eine Attrappe.  

Als ich mir die Laotse-Frage stellte, wie das mit dem Wurzeln vom Leichten im Schweren wäre, halb verzweifelt wie ein Zen-Schüler mit seinem Koan, in Erwartung des Satori, der Erleuchtung, die nicht eintreten will, sinnierte ich zuerst über die schweren Steine und die leichte Luft, über die schwere Arbeit und das schöne Ergebnis, das die Mühen vergessen lässt und zur Belohnung wird, über Bildhauer-Handwerk und Kunstwerks-Kauf-Lust, etc, es war ein Dickicht aus Dingen in Nah-Sicht, die einander folgen und die das Ich so im Clinch mit dem Leben erlebt. Dann gelang es mir vom Ich loszulassen.

Nachdem ich mich ein Stück durchgekämpft hatte, gab es so etwas wie eine geistige Explosion, wow, war das jetzt das Satori, die Erleuchtung?! Da entstand vor meinem geistigen Auge die Totale, die Weite, ich atmete durch, da war das Bild des Parkstein, echt geil! Ein Bild von etwas Hohem und Tiefem, das als Real-Metapher zu wirken begann, die Bild-Bestandteile schlossen sich zu einer Sinn-Einheit zusammen, die alle vorausgegangenen Gedankengänge in einem Muster zu integrieren schien.

Da war die Bergschwere, die Luft-Leichtigkeit, der Aufstieg, das Hinaufkommen-Wollen, der weite Ausblick, und das war der Ausblick, der schon Petrarca bei der Besteigung des Mont Ventoux im Spätmittelalter so erschütterte, das Bild, das sich dem Dichter und Denker bot, brachte das mittelalterliche Weltbild zum Einsturz.
Da stellte das Sinnen- und Selbst-Erlebnis des Unendlichen und Göttlichen in der Natur den bisherigen Kirche- und Kopf-Gedanken des Göttlichen in den Schatten.
Ewigkeit war im Leben erfahrbar geworden, im Jenseits der unzähligen Berggipfel und nicht im Jenseits des Todes.
Die unbegreifbare Größe Gottes und das mathematische Regelmaß seiner Gesetze, das sich in der Perspektive auftat, wurden im Augenschein unmittelbar fassbar. Das Wort, das Gesetz, das Über-Ich, war in einer Weise Fleisch und Ich und Es geworden, die alles Übliche und Erlaubte hinter sich ließ.

Das war Petrarca 1336, wir schreiben das Jahr 2015.

Der große schwere, schwarze Basaltkegel, das markante Oberpfälzer Stück Erdgeschichte, das Alexander von Humboldt als schönsten Basaltkegel europaweit bekannt gemacht hat, ragt in den Luftraum, oben mit sozusagen himmlischer Liftstation, einem Kirchlein.  

Und langsam dämmert mir: wie der Parkstein in seiner Erlebnis-Struktur ein Mont Ventoux sein könnte, könnte jeder Stein von Toni Scheubeck ein Parkstein sein.

Stellen wir uns vielleicht auch noch vier Menschen vor, die von dort aus Laotse grüßen, und - es ist Nacht - hinaufschauen: Immanuel Kant mit seinem berühmten Satz, einem Kleinod westlicher Denk-Kultur:

"Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir."

Jawohl, das Gesetz, und die beispielhafte, verifizierende Anschauung: die basaltene Dunkelheit der Nacht, die leuchtenden Spritzer-Fluten der Milchstraße und das Gesetz, das aus dem Unsichtbaren kommend aus Chaos und Dunkelheit sichtbare, spürbare, sinnlich fassbare Ordnung schafft. Es fügt den Splitterhaufen der Sterne, die auf der Oberfläche des Nichts aufleuchten, zu sinnvollen Bildern zusammen, die unser Auge bewegen, zu Andromeda, zu großen und kleinen Bären, zu Delphin, Schütze, Leier, Orion, Pfeil und Jagdhunde.

Einschub: Betrachten Sie in diesem Zusammenhang die Steingruppe in Raum 1 und das Sand-Pendel und die Übertragung der Sandpendel-Zeichnungen auf Granitplatten. Daumenabdrücke von Schwer- und Fliehkraft, Wirkungsweisen des Unsichtbaren, des Nichts, Abbilder der erfüllten Leere, sie treten dem Betrachter als visuelles und haptisches Spiegel-Bild der menschlichen Erkenntnisfähigkeit und deren Grenzen entgegen.
Entsprechendes lässt in Raum 1 die Steingruppe erkennen, an der die Horizontale eines Wasserstands sichtbar zu werden scheint.
Die homogenisierende Kraft der Gravitation fügt die einzelnen Turbulenzen der Vielheit, das heißt der Tropfen, der Sandkörner, der Moleküle, der Atome, fügt sie zur Ganzheit, fügt sie ins dynamische Gleichgewicht.

Beachten wir ebenfalls die Basalt-Arbeiten in allen Räumen und bevorzugt die Quader-Reihe in Raum 2, die Freistellungen der schwarzen Einschlüsse im lichten Granit, was tritt in Erscheinung?: die dunkle Macht der schwarzen Löcher, die Magie der Schwere, die Atmosphäre der Gesetzmäßigkeit, die der Formgebung entströmt und wie ein transparentes Gerüst den Objekt-Umraum himmelwärts öffnet.  

Der Glanz der Sternbildern ist der Glanz des ordnenden Geistes, der dem Menschen den Weg leuchtet, über die Daseins-Schwere hinaus. Das macht staunen, heute wie damals, heute sprechen wir beim Anblick der Sternbilder von einer Projektion der menschlichen Hirn-Tätigkeit, der Gestaltgesetze und einer Spiegelung der menschlichen Erkenntnis-Kräfte und ihrer Grenzen. Was dahinter ist? Das Ding an sich, das Andere?

Der zweite auf der Bergtour ist der Mystiker Jakob Böhme, der hatte zu seiner Zeit noch etwas Anderes als das Andere gesehen: Der spürt, wie das Schwere, Körperhafte, Zeitliche zurück bleibt auf der Erde, aber während allerhöchst oben im Himmel die Seelen frohlocken, singen die Dinge auf Erden in einer nicht für jeden hörbaren Zeichen-Sprache mit.

Und in der vorchristlichen Sicht - hier spricht jetzt Platon - ist das die Sphäre der ewigen Ideen, Entitäten, die für den Menschen nur mehr in mathematischer Form fassbar sind, weiter geht`s nicht, da greift mensch voll ins Leere ... Ich allemal, ich war in der Schule in Mathematik miserabel.

Der vierte ist Paul Cezanne, der Maler des Gebirgszuges St. Victoire in der Provence. Bei seinen Beobachtungen der visuellen Welt in einer Mal-Weise, die er Realisation nannte, was sinngemäß soviel wie die Visualisierung der Sichtbarkeits-Gesetze bedeutet, erkannte er, dass sich die real sichtbaren  Formen im Zusammenhang des Wahrnehmungs-Feldes virtuell, sprich im geistigen Auge des Betrachters, den stereometrischen Grundformen „Kugel, Kegel und Zylinder" zuordnen, die es nur im Kopf gibt.
Was bedeutet das?

Es bedeutet, dass sich die Wahrnehmung bei der Wahrnehmungsarbeit selber zusieht. Wenn sie uns die Welt zusammenbaut, guckt sie in den Welt-Bilder-Herstellungs-Apparat im Kopf rein, in seine rotierendes Getriebe, mitunter sorgenvoll wie ein Mechaniker, den die Bedienungs-Form des Benutzers erschreckt, da ist er aus Gewohnheit blind, der Umher-Blickende, der sicher ist, dass er alles im Blick hat.
Wir haben immer mehr im Blick, als wir denken, auch den Blick selber, wenn wir nur einmal daran denken würden, daran zu denken.
In diesem Sinne zeigt die Ausstellung Denk - und Gedenk-Steinen.

Zurück auf den Gipfel des Parkstein.
Hier im Großen wiederholt sich das, was Toni Scheubecks künstlerisches Setting im Kleinen und was die innere Struktur seiner Kunstwerke ausmacht.
Zum einen ist es natürlich der Stein, heimischer Basalt, den er oft verwendet, allerdings nicht vom Parkstein, der ist ein Natur-Denkmal, ist unter Schutz gestellt, wird bewacht, die Mitnahme einer Basalt-Säule wäre Diebstahl, Scheubeck hält sich an die vogelfreien Steine, die in scheinbar zufälliger Verstreutheit überall herumliegen.

Die Spiegelbildlichkeit des Großen, des kosmologischen Zusammenhangs, die er sieht, sieht man ihnen kaum an: Er sieht und, indem er die Steine häufig zum Teil im vorgefundenen, natürlichen Eigenzustand belässt, lässt er sehen:

Sie sind ein Zeichen, - von der Zeichenlehre her betrachtet - indexikalische Zeichen dafür, dass Mutter Erde, die Mutter seiner Steine, in ihrem Innersten Magma heißt und flüssig ist und voller explosiver chaotischer Kräfte, bis heute sind sie in Kooperation mit den Mächten von Erosion und Biosphäre wirksam, sie schreiben auf den Zeilen von Sein und Zeit mit den Lettern des Daseins Weltgeschichte:

Irgendwann, irgendwo ward ein Funke geschlagen, dem das Lebenslicht entsprang und die basaltene Dunkelheit wich und war lesbar geworden. Das liest der Künstler aus den Steinen, wenn er sie aufliest.

Einschub: Sehen sie sich bitte dazu die Gruppe in Raum 1 an. Roh belassene Findlinge, jeweils oben in begrenztem Bereich polierte Rillen, das Bild von Fingerabdrücken, Wachstums-Ringen: Zeit vergeht, Stein besteht: Materialisierung eines natureigenen zeitlosen Form- und Harmonie-Denkens parallel zur menschlichen Vernunft, könnte man in einer Cezanne-Abwandlung sagen, die hier den Raum unserer Seh- und Tast-Erfahrungen betritt.
Die Oberfläche des Roh-Stoff-Steins wird zur steinernen Denkerstirn, dort liest der Künstler entsprechend den Kategorien unserer Lesefähigkeit und unseres Verstandes  ab, wie die im Stein geballte Energie, wie das im Stein sich verzahnende Außen und Innen in die adäquate anschauliche Form seiner Zeitlosigkeit kommen kann.

Im Kontext von Scheubecks künstlerischer Idee wird also der Stein nicht nur als spezifisches Material verwendet, mit dem man Häuser baut oder Skulpturen haut und das vom Bildhauer lediglich Material-Gerechtigkeit einfordert.
Schon auf der Material-Ebene bedeutet Stein inhaltlich mehr als nur Material:

Scheubeck nimmt in seiner künstlerischen Arbeit Bezug darauf, dass jeder seiner  Steine eine materielle Manifestation erdgeschichtlichen Werdens und Wirkens ist, er ist uralt, er kann viel erzählen, er ist eine individuelle, eigenwertige Darstellung seiner selbst als Botschafter, der Stein ist so gesehen Ziel gewordene Zeit und Gedächtnisspur auf dem Weg von Erosion und Partizipation, den er vom Modus des Gebirgs-Zugs bis zum Modus als Sand und Staub-Korn zurücklegt, dieser Weg führt uns auch zurück, zum Anfang der Anfänge, dem letztendlich das Menschsein entspringt.
Und es ist diese gemeinsame Wurzel, die hier künstlerisch inspiriert.

In dieser Anschauung folgt Scheubeck einer Empfindung, die mit Aristoteles geht, der Platons Ideen-Himmel in die Erden-Dinge verlegt und in den Grund-Stoffen, also hier dem Stein, dem Metall und dem Holz, ein Werde-Wollen wahrnimmt, das über den engeren naturwissenschaftlichen Rahmen hinauswill, der in einem Stein nur ein willenloses Objekt sehen kann. Nichts könnte da toter sein als ein Stein.

Seitdem der Ur-Knall den ersten Stein warf, in den Einzeletappen des Werdens, in allen Erscheinungen des seit dem Urknall Gewordenen wiederholt sich das Ur-Knall-Bild in zunehmender Differenzierung, in allem erscheint der Milliarden Jahre alte ewig junge alterslose Stein als Stein des Anstoßes, als Grundmuster, als Kern, dem alles Werdende immanent ist, Alge, Affe, Adam. Der Kern aller Formen und Lebensformen, aller Herausformungen und Herausforderungen steckt im Stein.
Kunst ist hier Wiedererinnerung, Mäeutik, wie Platon sagt, eine Hebammenkunst, sie hilft den Gesetzmäßigkeiten, denen das Dasein entspringt, im menschlichen Bewusstsein zur Erscheinung zu kommen.

... sehr schöne Illustration dieses Gedankens ist die Arbeit „Der Findling" von Timm Ulrichs 1978/80, halbierter Findling, zwischen beiden Hälfte des in der Waagrechten mittig auseinander geschnittenen Steins  eine Höhlung, Passform des Körpers des Künstlers, hier liegt er dann, der Künstler, nackt, wie Gott ihn schuf, im Stein als Sinnbild urbildlicher Schöpferkraft, die aus dem Unsichtbaren in die Erscheinung drängt.

Einschub: Bitte dazu die fotografie-gestützten Origami-Faltarbeiten im Raum 3 betrachten, eine Reihe gleich großer und gleich gefalteter Quadrate, das Relief erzeugt ein faszinierendes Schattenspiel, dabei ist jedes Quadrat mit der Fotografie des vorausgehenden Quadrats bedruckt, das heißt mit anderen Worten: in jedem Folge-Quadrat ist das Urquadrat enthalten, im Mix aus gedrucktem und realem Schatten-Spiel-Hell-Dunkel der Quadrat-Oberflächen nimmt die Komplexität der Bild-Erscheinung zu, das Kern-oder Ur-Bild bleibt in der Akkumulation unverändert: Realisation des im Zeitverlauf werdenden Werdens.

Hier ist explizit das Zeitmoment das künstlerische Motiv. Dazu bitte eine Betrachtung in Raum 3 und 4.
Da haben wir eine Realisation, die Brancusis berühmtem "Ei" aus dem Jahre 1924 entspricht, das den Titel „der Ursprung der Welt" trägt und skulptural als eine in Zeit und Raum getriebene Kugel anzusehen ist, es sind die Draht-Gitter-Arbeiten und ihre Entsprechungen in Massiv-Stein.
Auch hier das dialektische Fluchten, das Wirken elementarer, den Stoffen immanenter Form-Impulse, die in Raum und Zeit treiben, wir spüren Energie-Ströme, die rhythmisiert in den Raum zielen, das Fadenkreuz treffen, zum Kern zurückkehren und sich im Dazwischen zur Gestalt verdichten. Die Darstellung zeigt hier das in den bzw aus dem Stein oder Draht Geformte als Prozess, als Variationen über das Thema vom Ursprung der Welt.

Das den Dingen von der Natur eingepflanzte Werde-Wollen ermuntere, so Aristoteles, den Menschen, dem Holz z.B. sein ihm innewohnendes Boot-Sein und dem Stein sein ihm innewohnendes Haus-Sein zu entbergen.
Und vorausgehend hatte es wohl die Natur selber  ermutigt, das dem Stein innewohnende Menschsein zu entbergen.

War vielleicht ein Fehler. Hätte es vielleicht im Stein lassen sollen.
Warum sind wir hier? Darum sind wir hier!

Die Materialien wären demnach nicht bloß toter Baustoff. Sie wären animierende Träger von Bauplan-Potenzialen, die dem Geist der Material-Strukturen und deren Interaktion mit der Umwelt entsprechend mit dem menschlichen Geist zu angeborenen, dialogischen Funktions-Einheiten zusammengeschlossen wären. Wie die Elemente einer kontrapunktischen Komposition.

Eine für unsere wissenschaftlich und anthropozentrisch orientierte Welt, die sich als ein hierarchisch in Subjekt-Objekt-Bezüge gegliedertes System versteht, seltsame Vorstellung. Einen Gegenentwurf, der Subjekt und Objekt in eine komplementäre Beziehung setzt, die als quasi organisch verbundene, interagierende Verbindung zwischen Gleichen funktioniert, bilden die Umwelt-Theorie von Jakob von Uexküll und die Gestaltkreis-Konzeption von Victor von Weizsäcker, die beiden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden sind.       

Des Weiteren ist es ein besonderer, erdnaher gestaltkreis-atmosphärischer Begriff des Heimischen, Heimatlichen, der uns aus Scheubecks Arbeit entgegentritt. Er erinnert an das „Sanfte Gesetz", das Adalbert Stifter in der Vorrede zu seinem Buch „Bunte Steine" erläutert. Hier will der Dichter für ein Prinzip des gerechten, richtigen und rechtmäßigen Miteinander- und Für-Einander-Seins sensibilisieren, das in seiner Unzahl einzelner, unspektakulärer Vorgänge und Handlungen den großen Welt-Zusammenhang realisiere.
Um aber die Welt bildende Kraft des Großen im Kleinen wahrnehmen zu können, sei der Mensch schlecht ausgestattet, ähnlich wie bezüglich zum Erdmagnetismus habe er kein Sinnesorgan dafür, stattdessen ein geistiges, wissenschaftlich-philosophisches Auge, das zu gebrauchen er allerdings erst lernen müsse.
Und das, so erlauben wir uns hier anzufügen, verlangt Achtsamkeit, mentale Erdung und Zeit.
Stein-Gewichte helfen.

Bei Scheubeck ist das gegeben. Schon die Vorbereitungs- und Arbeits-Phase, die Material-Beschaffung ebenso wie die Bearbeitung spielen sich in der Aura einer alternativen Kulturlandschaft ab, die um die Sünden der Industrialisierung weiß, in einer überschaubaren, den Jahresszeiten, zugeordneten Lebenswelt-Nische, in der eben Steine noch nicht zufällig herum liegen, sondern in einem vielleicht geomantisch zu nennenden Mit- und Zueinander, das dem oben genannten sanften Gesetz folgt.

Und im Winter, wenn es im Atelier kalt ist, wird in den anderen, beheizten Räumen gezeichnet.

Der Stein wird gewählt. Es zählt nicht die materielle Qualität, die Lupenreinheit des Materials, das der bildhauerischen Idee normalerweise nur als Projektions-Fläche dient.
Der Stein selber ist schon ein Einzelnes im Lebens-Zusammenhang. Als ein solches, kommunizierendes Einzelnes, das den uns allen bekannten Sammler-Trieb, ja Liebhaber-Trieb anspricht, wird er gewählt, muss er passen.
Dazu passen, in mehrfacher Hinsicht.

Er ist Teil der Fundstelle, er ist Teil eines ritual-artigen Arbeits-Ablaufs, der Lebenszeit strukturiert, intensiviert, materialisiert, er wird Teil des Ateliers und der in rund vierzig Jahren angewachsenen Sammlung, die Sie, wie eingangs schon angedeutet, in Arnschwang bewundern können.

Er muss, was seine Größe und Schwere anbelangt, in ein anschaulich fassbares Maß passen. Dieses Pass-Maß verkörpert sich einerseits in der Trage-Kraft des Hand-Arbeiters, andererseits findet es in der Tragbarkeit, im Entgegenkommen der Stein-Funde seinen Ausdruck als menschliches Komplement.
Es schafft Zusammengehörigkeit, Einheit im Gegensatz. Zusammen sind wir stark.
So wurzelt das Leichte im Schweren.

Der Stein ist - und ich denke in Anbetracht der Stummheit des Steines dürfen wir es für ihn gerne noch einmal sagen – er ist in der Sicht des Künstlers bereits Ausdruck, Ausspruch und darin folgt Scheubeck ein Stückweit der Signaturen- oder Natur-Sprachenlehre des Mystikers Jakob Böhme.

„Jedes Ding hat einen Mund zur Offenbarung".

Damit sagt der Mann des 16. Jahrhunderts nichts, was heute überholt wäre, allemal ist es ein Appell an das Hören-Wollen, an das Zuhören-Können, an den Sinn für das Dazugehören, alles Dinge, die Zeit brauchen.
Der Stein hat sie. Von Anfang an.

Das war`s. Eine lange Rede, danke für Ihre Geduld, nach so langem Stillhalten, tut es gut sich wieder zu bewegen. Vielleicht wollen sie jetzt, in guter Gesellschaft den Berg besteigen, den Parkstein, den Mont Ventoux, die St Victoire, oder in der Wahrnehmung von Scheubecks Steinen das Modell derartiger Berg-Besteigungen erleben.

Die geistige Weite, die uns mitunter ein Gipfelblick schenkt, hängt nicht unbedingt von der Zahl der Höhenmeter ab. An den Steinen, die wir dabei auflesen und unserer Sammlung einverleiben, könnten wir in diesem Sinne und im geistesgeschichtlichen Sinn unserer Betrachtung eine neue Qualität entdecken.

Die steinernen Fundstücke sind Abbrüche, Teile, Fragmente, Scherben des Urgestein und ein jedes kommt zu uns wie eine Scherbe der Gastfreundschaft, die Tesera Hospitalis, die der antike Hausherr seinen Gästen als Kenn- und Pass-Zeichen mitgab.

Es ist das Zeichen, dass es einen unverbrüchlichen Bund gibt. Wir gehören dazu, gemeinsam sind wir stark, aber wir sind auch Gäste, Gleiche unter Verschiedenen, das verlangt Toleranz, das ist schwer, in dieser Schwere wurzelt das Leichte.

Jetzt sind wir oben, auf dem Gipfel, in guter Gesellschaft, nicht nur mit Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, auch mit dem Berg, zu dem wir passen, in Schritt und Tritt, uns wachsen Flügel, schwimmen im Sternenlicht, Satori in Amberg.

Besten Dank für Ihre Begleitung.


Wolfgang Herzer





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