K.-Ludwig Schleicher 2010 - Toni Scheubeck, Bildhauer und Zeichner

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K.-Ludwig Schleicher 2010

Texte


DER BILDHAUER TONI SCHEUBECK
veröffentlicht von K.-Ludwig Schleicher, LMU München
im Jubiläumsband von Toni Scheubeck, 2010


STEINE SIND STUMME LEHRER.
SIE MACHEN DEN BETRACHTER STUMM,
UND DAS BESTE, WAS MAN VON IHNEN LERNT,
IST NICHT MITZUTEILEN.

Goethe: aus Maximen und Reflektionen

… und das Beste, was man von ihnen lernt . . . ?
Zunächst einmal sind sie einfach da, ein Geschenk der Natur:
klein oder groß, transportable Einzelstücke oder massige Gebirge, sie sind Teil
unseres natürlichen Lebensraumes, prägen Landschaften, Orte und Lebensformen.
Wir bestaunen ihre Formen und Formationen, ihre Schwere, ihre Glätte,
ihre Rauheit und ihre Beständigkeit . . .  
Doch wo kommen sie her, wie sind sie entstanden, woraus bestehen sie, wie alt sind sie?
Sind dies die Fragen, deren Antworten uns lehren sollen?
Unserer Nachdenklichkeit folgt rasch das Spekulieren mit ihrer nützlichen Verwendbarkeit.
Die lange Geschichte vom Faustkeil als Werkzeug und Waffe, von
Haus- und Straßenbau, von Palast- und Tempelanlagen und
urbanen Stadtlandschaften ist voll von faszinierenden und vergänglichen Zeugnissen
Stein gewordener Kulturgeschichte.

Geologen analysieren ihre elementare Zusammensetzung und ihre Mikrostruktur,
ermitteln ihre Eigenschaften, klassifizieren, publizieren ihre Kenntnisse
und stellen sie der kommerziellen und technischen Verwendung zur Verfügung.

Steine als stumme Lehrer im Sinne Goethes aber meinen anderes:
Steine sind Wunder der erdgeschichtlichen Schöpfung.

Sie erzählen von geologischen Abläufen in Jahrmillionen, von Eruptionen
aus der glühend-flüssigen Schmelze der Erdtiefe, von Sedimentbildung und Kristallisation,
von Plattenverschiebungen und Brüchen…  
Und sie lehren uns die Relativität des menschlichen Maßstabs
angesichts der unfassbaren Ausdehnung von Raum und Zeit des Kosmos.  

. . . und das Beste, was man von ihnen lernt, sei nicht mitzuteilen?

Wer aber, wenn nicht ein Künstler, kann und muss hier widersprechen!
Einer, der dies gerade auf eindrucksvolle Weise leistet, ist Toni Scheubeck.  
Er widerspricht mit seinem steinbildhauerischen Werk,
das er seit annähernd drei Jahrzehnten in der ruhigen Abgeschiedenheit seiner
Oberpfälzer Heimat in Arnschwang still und konsequent entwickelt.

Kaum jemand anderer kennt den Stein so sehr wie er
und verfügt über soviel werktechnische Erfahrung. Dem Stein
und seinen verborgenen Geheimnissen widmet er sein Sinnen und Trachten,
seine geistige, künstlerische und körperliche Schaffenskraft und seine Lebenszeit.
Für ihn ist der Stein der große Partner, Vertraute und Herausforderer.
In der gemeisterten Form finden seine hohen Ansprüche und Ideale ihre Erfüllung.

Wer den bildhauerischen Werken von Toni Scheubeck zum ersten Male begegnet,
bei ihm zu Hause etwa, in seinen Werkstätten und Schauräumen,
trifft auf eine Formenwelt von fremdartiger Schönheit.
Reduzierte, abstrakte Gebilde liegen und stehen unspektakulär,
aber mit Bedacht gesetzt auf dem Dielenboden.
Durchweg sind es interessante und überraschend eigenwillige Formulierungen
in handwerklich meisterlicher Ausführung.
Die zeichenhaft klare Gestalt, die prägnante Gliederung und eine
subtile Oberflächenbehandlung geben den Werken Kraft und würdevolle Eleganz.
Ihre mittelgroßen Ausmaße sind weitgehend durch das von Menschenhand
eben noch zu stemmende Gewicht vorgegeben.
Keine auftrumpfende Monumentalität!
Handarbeit und ausgewogene Proportionen sorgen für menschliches Maß.
Scheubecks Skulpturen sind äußerst originell.
Jede Arbeit ist eine intelligente Erfindung, ein faszinierendes Einzelstück.

Zwei Ausgangsmotive für die Gestaltfindung dominieren:
Zum einen ist es der im Steinbruch vorgefundene Stein selbst und
zum anderen ist es der Gestaltungswille des Künstlers.
Die zufällige Formbeschaffenheit des Steins kann für Scheubeck so inspirierend sein,
dass er sich bereitwillig auf ihn einlässt, ihn im Wesentlichen bewahrt und
sich darauf beschränkt, Oberflächen zu klären, Konturlinien spannend
zu rhythmisieren und sich den zahlreichen feinen Besonderheiten,
wie Rissen, Einlagerungen und Aussprengungen zuzuwenden.
Dies geschieht dann in einem dialogischen Wechselspiel von Anpassung an die
Möglichkeiten des Steins und den Formvorstellungen des Künstlers.

Der Betrachter erlebt somit gleichzeitig
die geologische Ursprünglichkeit des Steins und gewissermaßen
seine "Entfaltung" durch den gestaltenden Menschen.
Solchermaßen mit respektvoller Einfühlung  interpretierte  Steine wirken dann so,
als wären sie irgendwie zu ihrer vorgesehenen Bestimmung gebracht,
als könnten sie nie anders ausgesehen haben.

Während sich in der oben geschilderten, früheren Werkphase Natur und Kunst
buchstäblich vereinen, wandelt sich Scheubecks Zugriff auf den Stein in dem Maße,
wie sich sein handwerkliches Geschick, sein  Wissen über den Stein
und damit seine erfinderische Vorstellungskraft weiter entwickeln.
Die Entdeckung des Steininneren, gewissermaßen des Steins im Stein,
inspiriert ihn zu völlig neuen Motiven und Gestaltungsideen:  
Kalk- und Quarzadern, welche durch in Spalten eingesickerte mineralhaltige
und mit der Zeit versteinerte Flüssigkeit entstanden sind
oder ältere Einschlüsse im hellen jüngeren Granit,
deren Schwärze dem Fehlen eines Gemengeteils zu verdanken ist.

Im Inneren eines homogen scheinenden Granits
während der Oberflächenbearbeitung plötzlich auf dunkle Flecken zu stoßen,
die sich bei fortschreitender Arbeit
in die Tiefe als ausgewachsene Fremdkörper offenbaren,
entfesselt in ihm - so hat es den Anschein - eine regelrecht detektivische Lust,
den Spuren bis zu ihrer vollständigen Aufklärung immer weiter zu folgen.

Was mancher Bildhauer als Fehler im Stein, als böse, wertmindernde
Überraschung verteufeln würde, holt Toni Scheubeck hebammengleich heraus, um
es anzunehmen und  gleichberechtigt ins gestalterische Spiel zu bringen:
Adern und ihre Verzweigungen treten als Relief heraus, werden selbstständig,
entwickeln eine lebendige Präsenz, wie wir sie von Kalkschieferplatten
mit fossilen Versteinerungen kennen, oder bilden zusammen mit dem Muttergestein
skulpturale Zweier- oder Dreier-Konfigurationen.

Aufgrund der überreichen handwerklichen Erfahrung, die sich Scheubeck
mittlerweile erworben hat, wird es ihm sogar möglich,
ein gewitztes Spiel mit der Ausdeutung bzw. Umdeutung der im Stein
aufgedeckten Formen und Strukturen zu treiben:
tropfenförmige schwarze Gesteinskerne scheinen aus Granitwürfeln herauszuwachsen,
echte Quarzadern überkreuzen sich mit aus Granit nur vorgetäuschten.
Irritationen werden in Gang gesetzt. Aber wer sie als handwerkliche Artistik abtut,
übersieht die beabsichtigte Aufforderung, seine Wahrnehmung zu schärfen,
die gedanklichen und werktechnischen Arbeitsschritte der Herstellung nachzuvollziehen
und die bildnerischen Feinheiten wertzuschätzen.

Toni Scheubeck lässt sich sowohl von den gewachsenen Formen
und Strukturmustern der organischen wie anorganischen Natur inspirieren, als auch
von den abstrakten Gesetzen der Mathematik und der Geometrie.
In seiner umfangreichen Forschungs- und Ideenwerkstatt
finden gedankliche und im Materialexperiment entstandene Motive
ihren ersten Niederschlag.
Es sind dies Proben und Modelle aus Papier, Ton, Holz, Draht und Faden,
sowie Zeichnungen, die auf eigene Weise ihren Weg
zwischen gesetzmäßiger Strenge und bildnerischer Freiheit suchen.
In solcher prinzipiellen Offenheit fürs Mögliche und Unmögliche
spiegelt sich der Geist des Weimarer Bauhauses,
wo besonders der charismatische Lehrer Johannes Itten
in seinem Vorkurs seine Studierenden für das ungebundene Spiel
der bildnerischen Mittel begeisterte, jener Fundgrube,
aus der auch Toni Scheubeck schöpft,
wenn er auf der Suche nach dem Unbekannten
alles nur unklar Vorstellbare auslotet, um gewissermaßen analog zur Natur
die eigene neue Schöpfung zu erfinden und mitzuteilen.

K.-Ludwig Schleicher
LMU München

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