Manfred Nürnberger 2010 - Toni Scheubeck, Bildhauer und Zeichner

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Manfred Nürnberger 2010

Texte


Gedanken zu Toni Scheubecks Arbeiten
in der St.Anna-Kapelle in Passau

Manfred Nürnberger, Universität Regensburg, Institut für Kunsterziehung
Eröffnung: Do. 16. 09. 2010


Zum Granit-Doppelkegel auf Schienen- "Selbstläufer" - mein Assoziativ-Titel "Rolling Stone"

Kräfte in einem Stein "angemessen" - das heißt: ästhetisch eindrucksvoll- zur Anschauung bringen ist eine der Antriebsideen für den Bildhauer Anton Scheubeck.
Im eben inszenierten Rollakt ist es die Schwerkraft, die er eher austarierend als physikalisch berechnend als sinnlich erfahrbaren Effekt kalkuliert. Die Erdanziehung des Doppelkegels wird "praktisch" ein viel gebrauchtes Wort des Künstlers -aber hier ist es zutreffend-  so umgelenkt, dass eine Rollbewegung -wohlgemerkt auf waagrechter, ebener Bahn- ausgelöst wird. Warum ist das so?
Physikalische Erklärung: Die zunächst vertikal wirkende Kraft der Steinmasse wird wie beim gemauerten Spitzbogenfenster gotischer Bau-Kunst durch die konische Verjüngung hin zu den beiden Polen der Kegelachse seitlich so auf die Schienenkanten abgelenkt, dass Druck und Gegendruck sich gleichsam in eine "Drift" verwandeln und die gespeicherte Energie zur rotierenden Bewegung mutiert.
Zum Auslösen des Vorgangs reicht ein minimaler Impuls aus: Der Künstler muss nur ein Keilchen entfernen, um das eigentliche optische und auch akustisch wahrnehmbare "Schauspiel" zu starten.

Der Begriff Schauspiel ist nicht zufällig gewählt. Er greift das im weitesten Sinne spielerische Verhalten des Künstlers, das Ausprobieren im Modell, das experimentelle Erkunden im einfühlsamen Behandeln seiner Steine auf und beinhaltet gleichwohl das "zur Anschauung bringen" für den interessierten Betrachter.
Die Rolle des Betrachters, die Anton Scheubecks Werke diesem zurechnen, ist fast immer eine aktive:
Die Skulpturen müssen umrundet werden und zwingen zu unterschiedlichen Blickpunkten und Perspektiven, zu Nahsichten und Distanzstandpunkten. Nur so eröffnen sich ihm die Vielfalt der Formbezüge, die Dynamik von Kanten und Konturen, die Symmetrien und Asymmetrien ,Positiv- und Negativformen bis hin zu optischen Täuschungen. Das sind z.B. eingearbeitet Relief-Flächen, die von einem festgelegten Stand- und Augpunkt aus vom Gehirn des Betrachters als Raumkörper oder als regelmäßige geometrische Figuren (Kreis, Kreuz) gedeutet oder konnotiert werden. Das einfache Sehen wird durch Künstler und Werk zum "Realisieren" (gemäß dem Französischen "realisé") erweitert und ermöglicht so erst das Verstehen.
Nur durch diese Aktivitäten, die durchaus auch in die Form der Meditation münden können, erschließen sich dem Betrachter auch die geistigen Ebenen der Exponate, die die Schönheit der Formkörper, die herausgearbeitete Ästhetik der Materialien und die Sinnlichkeit der Oberflächen manchmal auf den ersten Blick noch verbergen oder besser überstrahlen.

Markante Formcharakteristika, exklusive Oberflächenqualitäten, harmonische Proportionen sowie spannende Richtungen und Anordnungen im dreidimensionalen Raum begegnen uns allgemein als Parameter der bildhauerischen Werke Anton Scheubecks. Diese gestalterisch in einen überzeugenden Zusammenhang unaufdringlich zu verdichten ist eine Leistung, die der Künstler im Laufe von fast 4 Jahrzehnten zur Meisterschaft gebracht hat.
Werktechnische Präzision einerseits wird nie zum Selbstzweck, Gedankenarbeit, Ideenfin-dung, geistige Durchdringung andererseits bleibt nie abstrakte Intention, abgelöst von der Sinnlichkeit des Materials und der im doppelten Sinne begreifbaren Form. Steinstücke oder Holzstämme werden stets behutsam zum Sinnträger umfunktioniert oder im Feinschliff "geläutert". Der brutale "Schlag", wie es der Titel der Präsentation nahe legen könnte, der dem Rohling eine ihm äußerliche Form aufzwingt, ist eine Seltenheit in der Arbeitsweise des
Bildhauers. Das Herauspräparieren von nicht sofort sichtbaren Adern, Einschlüssen, Lagerungen und Färbungen verlangt eher eine Spürnase, gepaart mit Einfühlungsvermögen und hohem Erfahrungswissen. Das Material scheint durch die verschiedensten groben und feinen Bearbeitungsweisen eher "beseelt" zu werden, wie man es sich in einem Schöpfungsakt vorstellen kann, als dass es als bloßes Mittel zum Zweck zugerichtet wird.

Manche Skulpturen scheinen wie menschliche Körper zu atmen oder ein ihnen Inne-wohnendes durch die vorsichtige, bisweilen minimalistische Veredelung zu offenbaren.
So die vulkanischen Basaltriegel , deren helle ockerfarbene Außenpatina in Kontrast zum matten Tiefschwarz des Kerngesteins gesetzt ist. In ausgeschliffenen Ornamentflächen, greifen sie die Figur-Grund-Systeme auf, wie wir sie von antiken griechischen Vasen -mit schwarz- oder rotfiguriger Bemalung kennen.
Ein anderes Mitglied dieser "Basaltfamilie" gewährt uns durch die Bearbeitung an den Enden
Einsicht in seine kristalline Fünfeck-Konstruktion, die mit Blick auf die Stirnseite dem Betrachter das einschreibbare Pentagramm-Signet plastisch vor Augen führt.
Mehrere solcher Werk-Familien sehen wir im Raum präsentiert:

Z.b. die hellen Granitriegel oder Würfel mit schwarzen Diorit-Einschlüssen, die zunächst nur als graue Stellen in der gebrochenen Steinoberfläche auszumachen sind. Erst durch Abtragen und Wegschlagen der Einbettungsschichten werden sie als organische kugelartige Kernkörper freigelegt. In der siebenteiligen Skulptur "Weg nach Patersdorf" bilden die schwarz polierten
Eine gereihte Ordnung geheimnisvoller Zeichen, als würden sie Stationen markieren.

Zur Verwandtschaft der "Augentäuscher" rechne ich Arbeiten, die zunächst eingefahrene Wahrnehmungsmuster der Betrachter irritieren, aber dann aufbrechen und erweitern.
Das sind Arrangements, die uns durch raffinierte Oberflächenreliefs den Steinblock als
weiche Materie anmuten lassen, die wie Schaumstoff eindrückbar, wie Filzstreifen verflechtbar wäre oder durch darunter liegende Gegenstände an den Kanten sanft hochgewölbt werden könnte. Einige Elemente wirken in diesen Arrangements wie elastisch verdreht oder verflochten, was mit sprödem hartem Gestein im Normalfall unvereinbar ist.
Das "Roll-Sigel" am Durchgang führt uns im Sandbett abgerollt, die dreidimensionalen
Sternpyramiden vor Augen, die im Stein selbst nur als vertiefte Kerben eingemeißelt sind , die
unsere Raumwahrnehmung sehr im Unklaren lassen .  
Eine Besonderheit sind auch die Haselnuss-Stäbe, die ohne feste Verbindung, aber mit System "vernetzt" eine große sich selbst tragende flache Kuppel bilden, um den hier sichtbaren gotischen Gewölben im Kirchenraum und in den Gängen  "bodenständig" zu antworten.
All diese Seherlebnisse halten wach, schärfen die Beobachtung und setzen auf den Witz des anschaulich Widersprüchlichen.

Mit der Anspielung auf die Dialektik in den Skulpturen möchte ich zum Schluss nochmals auf das Erlebnis des rollenden Kegel-Steins, des "Selbstläufers"zurückkommen:  
Der auf die Metall-Bahn gesetzte Granit-Kegel lässt sich in dieser Hinsicht als das wörtlich und übertragen "aufgehobene Schwere" und das sich selbst in "Bewegung versetzende Starre" deuten, als Ausrollen eines dynamischen Potentials, das gleichsam schon in ihm selbst steckte. Diesen Kräften hat der Künstler Gestalt verliehen und uns eine verdeckte, uns  nicht bewusste Eigenschaft der Materie fast didaktisch offenbart. In Fachjargon könne man das als eine gelungene Verzahnung von Installation und Performation bezeichnen.
Vielleicht ist es kein Zufall, dass diese Arbeit gerade zu dem Zeitpunkt entwickelt wurde,
in dem Anton Scheubeck frisch von der Bürde des in knapp 40 Dienstjahren sicherlich schon eingefahrenen Lehrerberufes am Gymnasium nunmehr befreit ist und für ihn ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Die neue Ära erfordert wiederum Dynamik und Flexibilität um der Gefahr im Gewohnten zu erstarren schnell zu entrinnen, die freie Zeit mit Sinn zu nutzen.
Zeit und Bewegung haben an diesem Wendepunkt nun effektvoll das künstlerische Oeuvre bereichert. Auch zu dieser personenbezogenen Interpretation, meine ich, ist dieses Werk offen.

Kinetik, synästhetische Erfahrung und Installationscharakter heben aber nach meinem Begriff diese für den Autor paradigmatische Arbeit in die Riege international anerkannter und weg-weisender innovativer Kunstpraxis.
Ich hoffe, dass ich das Ihnen in der Kürze der Zeit vermitteln konnte als Anstoß, mit den einzelnen Steinen und der Holzskulptur in einen Dialog zu treten mit dem Wunsch zu spannenden Entdeckungen und Deutungen zu gelangen.
Ich schließe mit einem Zitat des romantischen Dichters Novalis, das Anton Scheubeck in seinen Katalog, der zu seinem 60. Geburtstag entstanden ist, gesetzt hat:

"Pflanzen wirken auf den Pflanzensinn des Menschen, Tiere auf den Tiersinn, Steine auf den
Steinsinn des Menschen."
Wer hier den Steinsinn hat, brauche ich Ihnen nicht mehr zu sagen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit

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